Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht für Rechtsreferendare

 

(§§ ohne Gesetzesangabe sind solche der ZPO)                                                                   §§§


 

I. Wesen: Rechtsmittelähnlicher besonderer Rechtsbehelf des Vollstreckungsverfahrens.

Die Erinnerung ist kein Rechtsmittel, weil kein Devolutiveffekt eintritt.
Mit ihr werden konkrete Vollstreckungsmaßnahmen oder ihr Unterlassen mit der Begründung angefochten,
die Verfahrensvorschriften seien nicht eingehalten worden.
Es gilt wegen der Überprüfung hoheitlichen Handelns der eingeschränkte Amtsermittlungsgrundsatz.

Abgrenzung:

·         materielle Einwendung gegen den Anspruch (Schuldner) --> Vollstreckungsgegenklage, § 767

·         materielle Einwendung gegen die Veräußerung (Dritter) --> Drittwiderspruchsklage, § 771

·         materielle Einwendung vorrangigen Pfandrechts (Dritter) --> Klage auf vorzugsweise Befriedigung, § 805

·         Einwendungen gegen die Klauselerteilung (Schuldner) --> Klauselrechtsbehelf, §§ 795, 732, 768

 

1. Zulässigkeit der Gerichtsvollziehererinnerung

a) Statthaftigkeit

• Gegen jedes auf Zwangsvollstreckung gerichtetes Verhalten des Gerichtsvollziehers.
• Gegen Weigerung des Gerichtsvollziehers, einen Vollstreckungsauftrag durchzuführen.
• Gegen Kostenansatz des Gerichtsvollziehers.
• Gegen Vorpfändung des Gläubigers nach § 845.

b) Zuständigkeit zur Entscheidung, (ausschließlich, § 802)

• Zuständig ist das Vollstreckungsgericht (Amtsgericht), in dessen Bezirk die Zwangsvollstreckungshandlung durch den Gerichtsvollzieher stattgefunden hat, §§ 766, 764 II. Entscheidung durch den Richter, § 20 Nr. 17 RPflG.

c) Form

• Schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle, § 569 II analog.

d) Keine Frist

e) Allgemeine Verfahrensvoraussetzungen

• Ein bestimmter Antrag (§ 253 II Nr.2) ist wegen des Amtsprüfungsverfahrens nicht erforderlich. Ein bestimmter Antrag kann aber die Überprüfung auf bestimmte Handlungen beschränken.
Rechtsschutzinteresse:

  • vom Beginn der Zwangsvollstreckung in bestimmte Gegenstände oder Rechte bis zum vollständigen Abschluss.
  • Vorher: Wenn Zwangsvollstreckung unmittelbar droht und spätere Entscheidung nicht hilft.
  • Später: Gegen Kostenansatz.

f) Beschwer

  • Der Gläubiger ist beschwert, wenn das Vollstreckungsorgan ganz oder teilweise von seinem Vollstreckungsantrag abweicht.
  • Der Schuldner ist immer beschwert.
  • Dritte sind beschwert, wenn sie sich auf die Verletzung vollstreckungsrechtlicher Verfahrensvorschriften stützen, die zumindest auch ihrem Schutz dienen. Der Dritte ist also beschwert, wenn er sich auf die Verletzung einer drittschützenden Verfahrensvorschrift beruft (z.B. wenn der Gerichtsvollzieher evidentes Dritteigentum nicht berücksichtigt hat). Macht der Erinnerungsführer die Verletzung von Vorschriften geltend, die zum Teil ihn schützen, zum Teil aber nicht, so ist er beschwert. Die Frage, ob er sich auf alle geltend gemachten Vorschriften berufen darf, ist in der Begründetheit zu untersuchen.

 

2. Begründetheit

a) Die Erinnerung des Schuldners oder eines Dritten ist ganz oder teilweise begründet, wenn irgendeine Voraussetzung der Zwangsvollstreckung fehlt.
b) Die Erinnerung des Gläubigers ist begründet, wenn alle Voraussetzungen der begehrten Vollstreckungsmaßnahme vorliegen.
c) Die Erinnerung gegen den Kostenansatz ist begründet, wenn dieser falsch ist oder die Kosten trotz eines Antrages nicht beigetrieben werden.
d) Umfang der Prüfung

  • Grundsätzlich ist das gesamte Vollstreckungsverfahren (generelle Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung und Zulässigkeit der konkreten durchgeführten oder begehrten Maßnahme) zu überprüfen. Materiellrechtliche Einwendungen sind vom Gerichtsvollzieher allerdings nicht zu berücksichtigen.
  • Beim Dritten wird lediglich die drittschützende Norm geprüft, andere Voraussetzungen hingegen nicht.
  • Begrenzung der Prüfung nur bei eingeschränktem Erinnerungsantrag.

Verstöße gegen die nachfolgenden Verfahrensvorschriften können vom Schuldner mit der Erinnerung angefochten werden.

aa) Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers

  • funktionelle Zuständigkeit: Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in körperliche Sachen, § 808 I
  • örtliche Zuständigkeit: § 20 GVO

bb) Vollstreckungsantrag

  • (nicht formbedürftiger) Antrag des Gläubiger
  • Weisungsgebundenheit des Gerichtsvollziehers: der Gläubiger kann ihn anweisen, nur wegen eines Teils der titulierten Forderung zu vollstrecken (insbesondere bei hohen Forderungen wegen der Kostenvorschusspflicht), mit der Vollstreckung erst zu einem bestimmten Zeitpunkt zu beginnen oder bestimmte Sachen von der Vollstreckung auszunehmen oder (nach h.M.) nur in bestimmte Sachen zu vollstrecken.

cc) Richtiges Zugriffsobjekt

  • Körperliche Sachen, § 808 (entspricht dem Begriff der beweglichen Sache i.S.d. BGB)
  • Früchte, die von dem Boden noch nicht getrennt sind („Früchte auf dem Halm"), § 810
  • Zubehör eines Grundstücks, das eine bewegliche Sache (vgl. § 97 I 1 BGB) ist und nicht im Eigentum des Grundstückseigentümers steht, § 865 I i.V.m. § 1120 ff BGB.

dd) Gewahrsam

Gewahrsam bedeutet, dass nach dem äußeren Anschein die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf die Sache besteht und dass nach der Verkehrsauffassung ein Gewahrsamswille anzunehmen ist.

  • Alleingewahrsam des Schuldners, § 808 I
  • Mitgewahrsam des Ehegatten nach Maßgabe des 739 i.V.m. § 1362 BGB
  • Gewahrsam des Gläubigers, § 809
  • Gewahrsam eines herausgabebereiten Dritten, § 809

Problemfelder des § 809:
Ein verheirateter Schuldner gilt gem. § 739 iVm § 1362 BGB grundsätzlich für das Zwangsvollstreckungsverfahren als Alleingewahrsamsinhaber, so dass auch gegen den Willen des anderen Ehegatten die Zwangsvollstreckung erfolgen kann, obwohl im Regelfall der andere Ehegatte Mitgewahrsam an den pfändbaren Gegenständen hat. Diese Vermutung gilt gem. § 1362 I S. 2 BGB nicht, wenn die Ehegatten getrennt leben und sich die Sachen im Besitz des Ehegatten befinden, der nicht Schuldner ist. Eine weitere Ausnahme findet sich in § 1362 II BGB: Für die ausschließlich zum persönlichen Gebrauch eines Ehegatten bestimmten Sachen wird im Verhältnis der Ehegatten zueinander und zu den Gläubigern vermutet, dass sie dem Ehegatten gehören, für dessen Gebrauch sie bestimmt sind. Ansonsten kann der andere Ehegatte einer Vollstreckung in diese Sachen nicht nach §§ 766, 809 widersprechen (Brox, FamRZ 81, 1125). Ihm bleibt, wenn er der Eigentümer ist, nur die Widerspruchsklage gem. § 771. Er muss dann die Vermutung des § 1362 I S. 1 BGB widerlegen (Brox, FamRZ 81, 1126).

ee) Kein evidentes Fremdeigentum

grds. hat der Gerichtsvollzieher nur die Gewahrsamsverhältnisse zu prüfen: ausnahmsweise hat er die Eigentumsverhältnisse zu berücksichtigen, wenn das Fremdeigentum ohne große rechtliche Überlegungen offensichtlich zu Tage tritt.

ff) Kein Pfändungsverbot

  • Pfändungsverbote aus sozialen Gründen im öffentlichen Interesse gemäß § 811 I
  • Vorbehaltseigentum, soweit die Voraussetzungen des § 811 II nicht vorliegen
  • Haustiere gemäß § 811 c
  • Hausratsgegenstände gemäß § 812

beachte: Möglichkeit der Austausch- und Vorwegpfändung gemäß § 811 a / § 811 d

gg) Beachtung sonstiger Verfahrensvorschriften

  • Vorherige Aufforderung des Gerichtsvollziehers an den Schuldner zur freiwilligen Leistung, vgl. § 806 h
  • Zeitliche Grenzen der Vollstreckung. vgl. § 758 a
  • Handeln innerhalb der Zwangsbefugnisse des Gerichtsvollziehers, vgl. § 758

hh) Ordnungsgemäße Durchführung der Pfändung

  • Inbesitznahme durch Wegnahme der Sache (§ 808 I) oder „ersichtliche" Anbringung eines Pfandsiegels bzw. einer Pfandanzeige (§ 808 II 2)
  • Andere Sachen als Geld, Kostbarkeiten und Weltpapiere sind nach § 808 II 1 im Gewahrsam des Schuldners zu belassen
  • Über jede Vollstreckungshandlung ist ein Protokoll aufzunehmen, § 762.
  • Von der Pfändung muss der Gerichtsvollzieher den Schuldner in Kenntnis setzen (§ 808 III), ggf. durch die Erteilung einer Protokollabschrift (§ 763 II).
  • Ordnungsgemäßer Umfang der Pfändung (z.B. keine Überpfändung, vgl. § 803 I 2 ; keine zwecklose Pfändung, vgl. § 803 II)

 

e) Maßgeblicher Zeitpunkt

Nach h. M. grundsätzlich Zeitpunkt der Beschlussfassung. - Allerdings streitig bei Unpfändbarkeitsvorschriften; h. M.:

  • Bei Wegfall der Voraussetzungen - Zeitpunkt der Beschlussfassung.
  • Bei nachträglichem Eintritt der Unpfändbarkeit - Zeitpunkt der Pfändung.

 

3. Möglicher Tenor des Beschlusses

  • Die Erinnerung wird verworfen (unzulässig) oder zurückgewiesen (unbegründet).
  • Stellt der Erinnerungsführer einen bestimmten Antrag und erzielt er einen Teilerfolg, so ist "die weitergehende Erinnerung zurückzuweisen".
  • Eine ganz bestimmte Vollstreckungsmaßnahme wird für unzulässig erklärt (Pfändungsmaßnahme eines Gerichtsvollziehers) oder aufgehoben (Pfändungsbeschluss).
  • Eine bestimmte Maßnahme wird angeordnet (der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, die Pfändung einer Sache nicht mit einer bestimmten Begründung abzulehnen).
  • Über die außergerichtlichen Kosten und die Auslagen des Gerichts ist zu entscheiden, §§ 91 ff. Gerichtsgebühren fallen nicht an.
  • Keine Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit, § 794 I Nr. 3
  • Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses, § 570 II u. III analog

 

4. Streitwert

Streitwert ist bei einer Erinnerung des Gläubigers der Wert der Forderung, wegen derer vollstreckt werden soll, bei einer Erinnerung des Schuldners und eines Dritten in der Regel der geringere Wert aus der Forderung des Gläubigers bzw. des gepfändeten Gegenstandes (§ 6).

 

5. Rechtsmittel:

ist die sofortige Beschwerde nach § 793, da die Erinnerungsentscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, § 764 III.

 

II. Darstellung

Rubrum

Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, § 764 III (Vollstreckungsgericht). Die Entscheidung ergeht daher durch Beschluss.
Statt "In dem Rechtsstreit" heißt es "In der Zwangsvollstreckungssache".

Die Parteien können als "Gläubiger" und "Schuldner" oder als "Erinnerungsführer" und "Erinnerungsgegner" bezeichnet werden. Ein Dritter ist "weiterer Beteiligter" oder "Erinnerungsführer". Derjenige, welcher das Rechtsbehelfsverfahren betreibt, wird nicht zuerst genannt. Es bleibt beim normalen Rubrum, wobei der erinnerungsführenden Partei der Zusatz „Erinnerungsführer“ hinzugefügt werden kann. Ist ein Dritter Erinnerungsführer und wird der Gläubiger oder der Schuldner durch die Entscheidung betroffen, so ist ihm rechtliches Gehör zu geben.

Gründe

Die Überschrift heißt "Gründe". Bei Beschlüssen wird die Entscheidung inhaltlich, aber nicht durch Überschrift aufgeteilt in Tatbestand und Entscheidungsgründe, am besten mit I. und II.

Die Stellungnahme des Gerichtsvollziehers ist kein Parteivortrag, sondern von Amts wegen ermittelter Sachverhalt. Weicht ein Parteivortrag von der Stellungnahme ab, so erfolgt die Darstellung als streitiger Parteivortrag.

Formulierungshilfe bei einer Erinnerung nach § 766 II (im Gutachten)

(Einleitung)

Wenn der Gläubiger geltend macht, der Gerichtsvollzieher komme seinem Vollstreckungsauftrag nicht oder nicht ordnungsgemäß nach, ist nach § 766 II die Erinnerung statthaft.

Die Erinnerung des Gläubigers ist begründet, wenn der Gerichtsvollzieher die beantragte Vollstreckung durchführen muss.
Dies wiederum ist der Fall, wenn die Zwangsvollstreckung zulässig ist und keine Verfahrensvorschriften verletzt werden.
Der Gerichtsvollzieher muss die Mobiliarvollstreckung (§§ 803 ff) vornehmen, wenn die Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung vorliegen.

oder

Es ist also zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Mobiliarvollstreckung, §§ 803 ff, vorliegen.

  • I. Verfahrensvoraussetzungen

    ....

  • Allg. Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung

    ....

  • Besondere Voraussetzungen der

    Zwangsvollstreckung
     

    ...

  • Ergebnis: Die vom Gläubiger eingelegte

    Erinnerung ist (un)begründet
     

     

    ....

    (Zum Tenor s. o. 3.)

 

Aufbauschema

 

 

III. Besonderheiten 

    bei Erinnerungen  wegen Pfändung in Forderungen und andere Vermögensrechte, §§ 828 ff.;

    hier: gegen den Erlass des PfüB durch den Rechtspfleger (vgl. Lackmann, a.a.O., Rdn 325 ff)

 

  • Statthaft nur zugunsten des nicht angehörten Schuldners, Drittschuldners oder Dritten.
  • Bei der Statthaftigkeit der Erinnerung ist die Abgrenzung von Maßnahme und Entscheidung vorzunehmen.

  • Die Beschwer des Schuldners liegt bereits durch den Erlass des PfÜB vor.
  • Die Beschwer des Drittschuldners liegt in der Belastung mit zusätzlichen Pflichten begründet, des Dritten nur bei Eingriff in eigene Rechte.
  • Die örtliche Zuständigkeit, §§ 764, 828 II: das Vollstreckungsgericht, das den PfüB erlassen hat, also regelmäßig das Wohnsitzgericht des Schuldners oder § 23 (s. auch Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. § 829 Rn 54)

 

 

Aufbauschema

 

 

 

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