Zivilprozess- und Zwangsvollstreckungsrecht für Rechtsreferendare

 

 

Verfahren bei Zustellungen (§§ 166 - 195 ZPO)


 

I.  Systematik 

Durch das Zustellungsreformgesetz, zum 01.07.2002 in Kraft getreten, wurden die §§ 166 ff. ZPO völlig neu gefasst.

Die Zustellung von Amts wegen (Amtszustellung) ist nunmehr der gesetzliche Regelfall (§ 166 II ZPO).

Die Zustellung auf Betreiben der Partei (Parteizustellung) ist der gesetzli che Ausnahmefall und wird ergänzend in den §§191-195 ZPO geregelt. Beispiele: §§ 829 II l, 835 III (Pfändungs- und Überweisungsbeschluss), § 922 (Arrest und einstweilige Verfü gung), § 750 I 2.).

II. Aufbau der Zustellvorschriften, §§166 ff. ZPO

  • Definition u. Rückwirkung der Zustellung (§§ 166, 167 ZPO)
  • Aufgaben der Geschäftsstelle (§§ 168, 169 ZPO)
  • Zustellungsadressaten (§§ 170-172 ZPO)
  • Zustellungswege u. Ersatzzustellung (§§ 173-182 ZPO)
  • Auslandszustellung (§§ 183, 184 ZPO)
  • öffentliche Zustellung (§§ 185-188 ZPO)
  • Heilung von Zustellungsmängeln (§ 189 ZPO)

 

III.  Begriff

Zustellung = Bekanntgabe eines Schriftstücks an eine Person in der durch die §§ 166 ff. ZPO bestimmten Form.

Beachte: Die Beurkundung des Zustellungsvorganges ist keine Wirksamkeitsvoraussetzung.

Wichtig: Rückwirkung der Zustellung nach § 167 ZPO.

 

IV. Notwendigkeit einer förmlichen Zustellung

Die §§ 166 ff. ZPO regeln lediglich das „Übermittlungsverfahren". Die Notwendigkeit, ein Schriftstück förmlich zuzustellen, ergibt sich regelmäßig aus einer gesonderten Vorschrift der Zivilprozessordnung. Diese bestimmt zudem, ob eine Amts- oder Par­teizustellung zu veranlassen ist.

Die wichtigsten Fälle einer Zustellung von Amts wegen sind:

  • Klageschrift gemäß § 271 l ZPO,
  • Schriftsätze mit Sachanträgen gemäß § 270 S. 1 ZPO,
  • Urteile gemäß §§ 310 III, 317 ZPO und
  • Beschlüsse und Verfügungen, sofern sie eine Terminsladung oder eine Fristsetzung ent­halten (§ 329 II 2 ZPO), sowie in den Fällen des § 329 III ZPO.

 

 

V. Zustellungsadressat (vgl. § 182 II Nr. 1 ZPO)

Zustellungsadressat ist grundsätzlich die Partei selbst.

Ausnahmen:

  • Bei prozessunfähigen Parteien muss an den gesetzlichen Vertreter zugestellt werden (§ 170 l ZPO). Bei juristischen Personen kann auch an den "Leiter", z.B. Vorstand zugestellt werden (§ 170 II ZPO). Interessantes BGH-Urteil ( BGHZ 176, 74): Die unter Verstoß gegen § 170 Abs. 1 ZPO erfolgte Zustellung eines Vollstreckungsbescheids an eine aus dem zuzustellenden Titel nicht erkennbar prozessunfähige Partei setzt die Einspruchsfrist in Gang (Bestätigung von BGH, 25. März 1988, V ZR 1/87, BGHZ 104, 109)
  • An Bevollmächtigte (§§ 164, 167 BGB) kann zugestellt werden (§ 171 ZPO).
  • Zwingende Zustellung an den Prozessbevollmächtigten (vgl. §§ 80 ff. ZPO) während des Verfahrens gemäß § 172 ZPO (d.h. die Partei selbst erhält nichts; gilt idR noch nicht für die Zustellung der Klageschrift, da der gegnerische Rechtsanwalt normalerweise erst bestellt werden muss).

 

 

VI.    Zustellungsempfänger (vgl. § 182 II Nr. 2 ZPO)

Die ZPO geht für den Regelfall davon aus, dass Schriftstücke dem Zustellungsadressaten persönlich zuzustellen sind (§ 177 ZPO). Das Gesetz muss aber z.B. auch Fälle berücksichtigen, wonach der Zustellungsadressat (oder sein Vertreter) vom Zusteller (vgl. § 182 II Nr. 8 ZPO) nicht angetroffen wird.

Im Fall eines förmlichen Zustellungsauftrags gemäß § 176 ZPO sind daher sog. Ersatzzustellun­gen nach Maßgabe der §§ 176 II, 178 ff. ZPO möglich:

  • Ersatzzustellung an bestimmte Personen in der Wohnung, in den Geschäftsräumen oder in Gemeinschaftseinrichtungen (§ 178 ZPO),
  • Einwerfen des Schriftstücks in den zur Wohnung oder zum Geschäftsraum zugehörigen Briefkasten (§ 180 ZPO),
  • Niederlegung des Schriftstücks beim örtlichen Amtsgericht oder einer Postdienststelle u. schriftliche Mitteilung an Adressaten (§ 181 ZPO).

Beachte: Die §§ 178, 180 und 181 ZPO stehen untereinander in einem Stufenverhältnis (Wortlaut!).

Die unberechtigte Annahmeverweigerung regelt § 179 ZPO.

 

 

VII.   Ausführung der Zustellung (Zustellungswege)

Die §§ 173 ff. ZPO sehen vier alternative Zustellungswege vor, über deren Auswahl die Geschäftsstelle nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet (§ 168 l ZPO):

  • Aushändigung an der Amtsstelle (§ 173 ZPO),
  • Empfangsbekenntnis gegenüber Adressaten von „erhöhter Zuverlässigkeit" (§  174 ZPO), auch als Telekopie oder elektronisches Dokument mit qualifizierter elektronischer Signatur,
  • Einschreiben mit Rückschein (§ 175 ZPO), Sonderproblem: unzustellbare Sendungen (keine Abholung innerhalb der Lagefrist) = keine Zustellung, auch Ersatzzustellung ist nicht möglich.
  • Förmliche Zustellung nach §§ 176 ff. ZPO durch die Post oder eine andere Behörde auf Veranlassung der Geschäftsstelle: Nachweis der Zustellung durch eine der Zustellungs­vordruckverordnung entsprechende Zustellurkunde - öffentliche Urkunde iSv § 418 ZPO  - (§§ 182, 190 ZPO). Großer Vorteil: Die förmliche Zustellung ermöglicht Ersatzzustellungen (§§ 178 ff. ZPO).

 

 

VIII. Besondere Formen der Zustellung

1. Bei Auslandszustellunqen muss unterschieden werden:

  • Die justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union ist für Zustellungen durch die Verordnung (EG) Nr. 1348/00 iVm § 183 III ZPO geregelt.
  • Zustellungen in Nichtvertragsstaaten der EG regeln §§ 183 l, II, 184 ZPO.

2.  Öffentliche Zustellung (§§ 185-188 ZPO), z.B. wenn der Aufenthalt einer Partei unbekannt ist (Aushang an der Gerichtstafel). Glaubhaftmachung erforderlich. Bewilligung durch Beschluss.

3. Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO)

4. Zustellung elektronischer Dokumente (§ 174 III iVm § 130a ZPO)

 

 

IX. Heilung von Zustellungsmängeln

  • durch Genehmigung mit Rückwirkung (in der Praxis selten),
  • § 189 ZPOsetzt voraus, dass der Adressat oder sein Vertreter (§§ 171-173 ZPO) das Schriftstück tatsächlich erhält. Die Fiktion einer wirksamen Zustellung tritt dann kraft Gesetztes ein (kein Ermessen des Gerichts),
  • gemäß § 295 ZPO durch Rügeverzicht (§ 295 II ZPO beachten).

 

 

 

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